- Teaching Bodies - Photographic and biographical self-representations on the relationship between gender and subject choice among men in gender-atypical subjects of the teaching profession (using art as an example)
Kleynen, Thomas; Unger, Tim (Thesis advisor); Kommer, Sven (Thesis advisor)
Aachen : RWTH Aachen University (2021, 2022)
Doktorarbeit
Dissertation, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, 2021
Kurzfassung
Nach wie vor sind in Deutschland bestimmte Schul- und Studienfächer geschlechtlich segregiert. Jungen und Männer wählen v.a. naturwissenschaftlich-mathematische und wesentlich seltener sprachlich-ästhetische Fächer und umgekehrt wählen Mädchen und Frauen v.a. sprachlich-ästhetische Fächer und wesentlich seltener naturwissenschaftlich-mathematische. Aus feministischer Forschungstradition entstanden eine Vielzahl Studien, die Ursachen, Hintergründe und Zusammenhänge der geschlechtsspezifischen Fächerpolarisierungen aus Perspektive der Mädchen und Frauen untersuchen. Sie verdeutlichen, dass die Präferenz von Berufs- und Studienfachwahlen nicht unabhängig von der Entwicklung des (geschlechtlichen) Selbstbildes erfolgt. Demgegenüber bleibt die Distanz der Jungen und Männer zum sprachlich-ästhetischen Bereich aktuelles Forschungsdesiderat. Die vorliegende Arbeit möchte mit der Rekonstruktion von Vorstellungen von Geschlecht(skonstruktionenen), Fachkulturen und Habitusformen männlicher Lehramtsstudenten, die ein ‚typisch weibliches‘ Fach (Kunst) wählen, dieses Desiderat ein Stück weit schließen. Exemplarisch für den sogenannten sprachlich-ästhetischen Bereich werden Lehramtsstudierende des Faches Kunst untersucht, da hier das Geschlechterverhältnis in der Oberstufe der allgemeinbildenden Schule, wie im Lehramtsstudium am unausgewogensten ist, spiegelbildlich zum Fach Physik, das als daher als Vergleichshorizont fungiert. Die vergleichende Untersuchungsanlage (Geschlechter- und Fächervergleich) erlaubt eine Perspektivenerweiterung und damit wichtige inhaltliche Einblicke in das Thema geschlechtsspezifischer Fächerwahl und den damit verbundenen Konnotationen, Vorstellungen und Habitusformen. Durch die Probandengruppe der Studienanfänger*innen des Lehramtes kommt Schule als Institution, die maßgeblich an der Vermittlung einer geschlechtsspezifischen Fächerdichotomie beteiligt ist, gleichsam doppelt in den Blick: Aus der Retrospektive berichten die Proband*innen durch die Statuspassage detailliert und reflektiert über ihre eigene Schulzeit. Als zentrale Faktoren erweisen sich hier das familiäre Umfeld, wie auch schulische und teils außerschulische Erfahrungen, da hier entsprechende Vorstellung der Fächer vermittelt und inkorporiert werden. Aus der Prospektive lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse auf die (zukünftige) Lehrtätigkeit und das angestrebte pädagogische Arbeitsbündnis mit Schüler*innen beziehen, so dass im Sinne des Habitus als ‚strukturierende Struktur‘ sichtbar wird, inwiefern geschlechtlich konnotierte fachkulturelle Vorstellungen sowohl mit den eigenen, wie mit den Bildungsprozessen zukünftiger Schüler*innen und den eigenen Professionalisierungsprozessen konvergieren (könnten).Fachkulturelle Vorstellungen und damit verbundene Fächerwahlen sind nicht unabhängig vom Habitus und den immanenten Vorstellungen von Geschlecht zu betrachten. Fächerwahlen und -vorstellungen sind Teil bzw. Folge eines (geschlechtlichen) Habitus, für die dem leiblich-körperliche Aspekt eine immense Rolle zugeschrieben wird, da Geschlecht (Gender) wesentlich körperlich her- und dargestellt wird. Die sprichwörtliche Verkörperung des geschlechtlichen Habitus, die nicht verbalisierbaren, inkorporierten Geschlechtsdar- und vorstellungen, die für die Fächerwahl von großer Bedeutung sind, lassen sich insbesondere durch fotografische Selbstdarstellungen explizit erfassen. Um zugleich einen tieferen Einblick in einen körperlich (dargestellten, geschlechtlichen) Habitus (Hexis) selbst, sowie in dessen ‚Gewordensein‘, in die Genese zu erhalten, werden die fotografischen Selbstdarstellungen mit biografisch-narrativen Interviews trianguliert. Um die Gefahr der Reifikation zu umgehen, ist ein nach den Prinzipien qualitativer Forschung offenes Vorgehen, dass Parallelen wie potentielle Unterscheidungen gleichermaßen ins Auge fasst und Kategorien (v.a. die des Geschlechts) als analytische, gemachte und nicht bipolar-gegebene versteht und sie einer permanenten Reflexion unterzieht, unumgänglich. Neben der Bearbeitung der beschriebenen Forschungsdesiderata bezüglich der relativen Ferne von Jungen/Männer zu Fächern des sog. sprachlich-ästhetischen Bereichs entwickelt die Arbeit auf diesem Wege die Methode der Bildanalyse nach der Dokumentarischen Methode (Bohnsack) mit und am Material ein Stück weiter und schlägt einen materialbasierten und adäquaten Weg zur Typenbildung vor. Zusammengefasst lauten die zentralen erkenntnisleitenden Fragen des Forschungsprojekts:1.Wie stellt sich der Habitus, insbesondere deren körperlicher Aspekt (Hexis) von Lehramtsstudierenden, die ein geschlechtsatypisches Fach gewählt haben (männliche Lehramtsstudierende mit dem Fach Kunst) im Vergleich zu denjenigen, die geschlechtstypisch gewählt haben (weibliche Lehramtsstudierende mit dem Fach Kunst bzw. männliche mit dem Fach Physik) dar?2.Warum stellt er sich auf diese Art dar? Wie lässt sich deren (Sozio)Genese (inwiefern) rekonstruktiv erklären? Welche Faktoren sind hier insbesondere für eine geschlechtsatypische Fächerwahl und die körperliche Selbstdarstellung relevant und welche (geschlechtlichen) Konnotationen und Vorstellungen sind mit dem Fach verbunden?3.Welche (pädagogischen) Schlussfolgerungen lassen sich bezüglich einer geschlechtlichen Konnotation der Fächer, insbesondere auf die (prospektive) Lehrtätigkeit, die pädagogische Praxis, sowie (eigene) Bildungs- und Professionalisierungprozesse ziehen? Letztlich steht somit die Frage nach möglichen Änderungen, Modifikationen pädagogischer Praxis v.a. im Kontext Schule, wie auch bezüglich der Lehrer*innen(aus)bildung im Fokus, da hier eine Vermittlung von geschlechtssegregierenden Bildern und Vorstellung (von Fächern) geschieht. Damit erhält die vorliegende Arbeit neben der wissenschaftlichen, eine gesellschaftliche Relevanz, die einen kleinen Teil dazu beitragen möchte, Wahlverhalten, Lehrtätigkeit, Bildungs- und Professionalisierungsprozesse von fachkulturellen und geschlechtskonnotierten Vorstellungen, die zuweilen einengend wirken können, ein Stück weit zu entkoppeln. Ziel ist hierbei nicht, mehr Männer in weiblich-konnotierte Fächer (wie Kunst im Lehramt) zu bringen, sondern gleichsam weniger Geschlecht in die Fächer. Die vorliegende Studie versteht sich somit auch als ein Beitrag zur Bildungschancengleichheit bezüglich geschlechtlicher Konnotationen.
Einrichtungen
- Lehrstuhl für Bildung und Professionalisierung [731210]